Zum Hauptinhalt springen

Auszüge aus dem staatlichen Unfallbericht zum Absturz der 152/I V1

Aus Unfallbericht 152V1, Dresden, den 12. März 1959

Flugauftrag für 4. März 1959

Startgewicht: 36 t
Schwerpunktlage: 24,3 %
va min:     260 km/h mit eingefahrenen Klappen und Fahrwerk
        220 km/h mit Kl. und Fw aus

Beschreibung letzte Phase des Abstiegs aus 6.000 m Höhe:

Aus der festgestellten Kurve der ungefähren Sinkgeschwindigkeit geht hervor, daß die Besatzung mit auf Leerlauf gedrosselten Triebwerken aus einer Höhe von 6.000 m das Bestreben zeigte, möglichst bald den Platz zu überfliegen (wollten am Nachmittag noch mal fliegen).
In einer Höhe von 400 m über dem Einflugzeichen DN, aus der die letzte Meldung der Besatzung erfolgte, waren nach der vorliegenden Wetterangabe die markantesten Punkte der Einflugschneise zu erkennen. Der Pilot mußte sich neben der sicheren Flugzeugführung auf zwei Aufgaben konzentrieren:
1.) Verringerung der Höhe um 200 bis 300 m bis zum Beginn der Startbahn, um entgegen dem Flugauftrag in 100 m oder auch tiefer übr die Landebahn zu fliegen.
2.) um im sauberen Überflug genau in Richtung Startbahn zu kommen.

Die festgestellten Tatsachen zeigen, daß aller Wahrscheinlichkeit nach diese beiden jetzt genannten Aufgaben den Flugzeugführer von seiner Hauptaufgabe, der sicheren Führung eines Flugzeuges mit einem ihm relativ unbekannten Eigenschaften, ablenkten.

Hinzu kommt, daß beide Piloten seit dem 4. Dezember 1958 keine Flugzeuge mit reaktiven Triebwerken geflogen haben und deshalb die Geschwindigkeit der IL-14 rein auffassungemäßig gewöhnt waren.
Diese Tatsache wird noch unterstrichen durch eine beiläufige Bemerkung des ersten Piloten Willi Lehmann nach dem ersten Flug, indem er aussagt, daß sich steuermäßig die 152 leichter fliegen läßt als die IL-14. Die nicht richtige Einschätzung der Flugeigenschaften der 152 durch den ersten Flugzeugführer und die Überschätzung seines eigenen fliegerischen Könnens geht aus folgenden Tatsachen hervor:
a:) seine Anfrage um Erlaubnis für eine 20%-ige Geschwindigkeitserhöhung (muß mit Baade abgesprochen gewesen sein H.L:)
b:) durch die eigenmächtige Erhöhung der Sinkgeschwindigkeit  ab 6.000 m Höhe, die entgegen der im Flugauftrag angeordneten 5 m/s fast um das 3-fache überzogen wurde
c:) der entgegen dem Flugauftrag vorgesehene Überflug des Platzes in 100 m Höhe mit eingefahrenen Landeklappen und eingefahrenen Fahrwerken (ein DEFA-Filmteam sollte den Überflug filmen in 35mm Farbe H.L.)
 

Zusammenfassung des Berichts:

1. Es ist kein Versagen der Struktur des Flugzeuges feststellbar.
2. Die Besatzung hatte nicht die Absicht, die Maschine zu verlassen.
3. Ein Brand in der Luft ist nicht anzunehmen, da die Feuerlöschanlage nicht betätigt wurde.
4. Eine Normallandung war nicht beabsichtigt, da die Fahrwerke und Landeklappen eingefahren waren.
5. Eine Bauchlandung war ebenfalls nicht beabsichtigt, da die Landeklappen eingefahren waren.
6. Ein Versagen der Triebwerksanlage kann aus diesem Befund nicht festgestellt werden.
7. Der Zustand der Aufschlagstelle und die Lage der in der Hauptgrube gefundenen Teile lassen mit großer Wahrscheinlichkeit einen Aufschlagwinkel von 60 Grad vermuten.

Gesprächsprotokoll der Untersuchungsbeteiligten:

Cheaerodynamiker Backhaus: Aus den Schrieben ergibt sich in Höhe von 2.000 m eine Sinkgeschwindigkeit von 7,4 m/s und in Höhe 1.000 m eine Sinkgeschw. von 4,4 m/s. Der Wert stimmt einigermaßen mit den rechnerischen Werten überein unter der Voraussetzung, daß die Triebwerke auf leerlauf bzw. ohne Schub gelaufen sind. Der Wert von 7 m erscheint sehr hoch. Die Zeit von der Standortmeldung bis zum Aufschlag beträgt 8 Minuten.das entspricht 240 km/h. 260 km/h entsprechen einer Flugstrecke von 35 km.

Gen. Reinhold erläutert: Flugzeug kommt in Gleitwinkel geflogen, Geschwindigkeit verhältnismäßig konstant, Wert 240-260 km/h. Kommt dem Boden ca. auf 400 m heran. Fängt Flugzeug ab, Geschwindigkeit verringert sich, Ruderausschlag muß vergrößert werden. Wie lange dauert es in diesem Flugzustand, um von der Geschwindigkeit von 250 auf 210 km/h zu kommen, wo Ruderausschläge nicht mehr genügen, und das Flugzeug selbständig bestrebt ist, wieder Fahrt aufzuholen?
Backhaus: erklärt, daß dieser Vorgang zur Zeit noch untersucht wird. Das Flugzeug geht auf alle Fälle nicht schlagartig auf den Kopf. Professor Backhaus stützt sich dabei auf Windkanalmessungen und Berechnungen. Der Ruderausschlag hat auf dieses Verhalten keinen Einfluß. Auf die Frage des Gen. Siebert erklärt Backhaus, daß bei 11 m/s der Anfang des Gleitfluges war. Im letzten Teil des Gleitfluges mit 7 m/s ist die Bahnneigung stärker, aber der Anstellwinkel größer, dadurch Ausgleich geschaffen.

Oberstleutnant Wolfgang Reinhold  fragt, ob berechnet worden ist, wie hoch v-kritisch?
Backhaus: Ist noch nicht ganz errechnet. Das plötzlich Auf-den Kopf-Gehen scheint sich nicht bestätigen zu wollen. Es müßte gefolgert werden, daß der Pilot ruckartig nachgedrückt hat.

Gen. Reinhold: Bei eingefahrenem Fahrwerk und Landeklappen und bei geringer Geschwindigkeit sind die Ruderausschläge nach oben und unten sehr gering. Was geschieht, wenn Überziehen stattfindet?
Backhaus: erklärt, daß die Maschine nicht überzogen werden kann. Die Ruderausschläge wachsen sehr stark an. Aufgrund der Kanalmessungen kommen sie über die untere Grenze nicht hinaus.

Chefpilot Treuter erklärt, daß das Abkippverhalten eines Flugzeuges rechnerisch nachgewisen werden kann. Das tatsächliche Verhalten kann nur im Flugversuch erprobt werden.

Major Ulaschin: nimmt zum Abkippen Stellung. Er ist der Meinung, daß dies Flugzeug auch abkippen kann unabhängig vom Willen des Piloten.

Chefpilot Treuter: erklärt, wenn das Abreißverhalten des Flügels plötzlich erfolgt, kann es vorkommen, daß aus dem Sackflug heraus trotz voll gezogenem Höhenruder das Flugzeug eine plötzliche Kippbewegung durchführt mit großer Winkelneigung in Richtung kopflastig. Diese Kippbewegung kann außerdem eintreten, bevor die Abreißerscheinung am Flügel bereits am Höhenruder erfolgt. Es ist meist so, daß die Querruderwirksamkeit in diesem Fall sehr stark nachläßt und das Flugzeug dann zusätzlich noch über einen Flügel kippen kann. Koll. Treuter konnte an den Funkdurchsagen nichts besonderes feststellen. Lediglich wurde die Positionsmeldung Pulsnitz von Gen. Bemme durchgegeben, der vorher keine Positionsmeldungen gab. Bei Standortmeldung vom Koll. Lehmann DN400 fehlt Anruf des Bodens und Kennung des Flugzeuges. Dies ist bei Führung des Flugzeuges vom Boden aus nicht immer erforderlich. Tonfall war nicht aufregend.
 

Zusammenfassung der 28 Zeugenaussagen:

Geschwindigkeit: a) im Anflug: 7 Zeugen machten Aussage über normale Geschwindigkeit, davon 6 Zeugen unter dem Hinweis nach ihrer Meinung nach zu gering - etwa dem Flug einer IL-14 ähnlich
b) nach dem Abkippen sich schnell steigernde Geschwindigkeit

Triebwerksgeräusche: 5 Zeugen geben normale Geräusche an und vergleichen den Laut mit anderen einschwebenden Flugzeugen. 5 Zeugen, insbesondere diejenigen, die fast genau überflogen wurden, geben starkes Pfeifen an (wahrscheinlich Leerlauf). 1 Zeuge sagt aus, daß die Triebwerke vor dem Aufschlagen angeblich noch einmal aufgeheult hätten.

Fahrwerk: 7 Zeugen sagen aus, eingefahrenes Fahrwerk.

Absturzvorgang: fast einheitlich: plötzliches Abkippen aus Normalfluglage nach vorn. Neigungswinkel: 60 bis 40 Grad

Zusammenfassend ist zu sagen, daß sich das Flugzeug im langsamen Anflug  und aus einer Höhe von 250 m kurz abkippte und in einem steilen Winkel aufschlug.

Auszüge aus bestimmten Zeugenaussagen:

Fahrradfahrer: Das Flugzeug flog hinter ihm vorbei. Entfernung 50 m, Höhe 150 m, erkannte Größe 2-3 m. "Die Maschine hing über dem rechten Flügel, etwa 30 Grad, bevor sie hinter dem Wald verschwand." (152V1 und V4 hingen bei den Erprobungsflügen beide jeweils um etwa 10 Grad am rechten Flügel, so steht es in den Flugberichten der Piloten von V1 und V4. H.L.).

Bauer: "Plötzlich kam das Flugzeug mit einer sehr hohen Geschwindigkeit, ich hörte nur ein Pfeifen über den Häusern. Die Maschine flog sehr tief - 100 bis 150 m. Wie ich bemerken konnte, hatte das Flugzeug einen nach vorn geneigten Winkel, als wenn es landen wollte. Ergänzen möchte ich, daß die Maschine in keiner Weise gewackelt hat und auch keine Tragfläche hing. Da ich selbst lange Jahre von 1937 bis 1945 auf dem Flugplatz Klotzsche beschäftigt war, habe ich aufgrund der Flugsituation angenommen, daß die versucht zur Bauchlandung anzusetzen. Unmittelbar, nachdem die Maschine über mich weggeflogen war, hörte ich eine Detonation."

Schwiegermutter vom Sohn erzählte: "Er befand sich auf der Heimfahrt und sah die 152 fliegen und bemerkte, daß es in der Luft herumschaukelte und vorne hoch ging, als ob es wieder höher steigen wollte."

Polizist: "Ich befand mich auf der Autobahn (wahrscheinlich mit Motorrad H.L.) von Borkau nach Dresden, als ich die 152 in zirka 300 m Höhe aus Richtung Ottendorg-Okrilla in Richtung Dresden fliegen sah. Ich sah das Flugzeug fast von vorn. Das linke Triebwerk war besser zu sehen als das rechte. Auf einmal stellet ich fest, daß das Flugzeug in zirka 45 Grad nach unten abkippte. Ich konnte dabei die Oberseite des Flugzeuges sehen. Dabei stellte ich fest, daß beiderseits der Tragflächen in der Höhe der Triebwerke zwei helle Flammen in zirka 2-3 m herausschlugen. dabei konnte ich keinerlei Rauchentwicklung sehen. Dann konnte ich die Maschine nicht mehr sehen, weil mir ein Waldstück die Sichte versperrte."

Dacharbeiter, der einen Schornstein reparierte: Die Sicht war bis zur Absturzstelle unbehindert. "Da sich das Geräusch ständig verstärkte, wandte er sich in die Flugrichtung. Hierbei bemerkte er das Flugzeug in einem Neigungswinkel von 30 bis 35 Grad. Die Flughöhe betrug zu diesem Zeitpunkt 80-100 Meter. Maschine hatte bis zum Aufprall keinerlei Anzeichen von Rauchentwicklung zu verzeichnen. Durch seinen Standplatz hatte er das Flugzeug in voller Frontalsicht. Maschine hat sich aus dieser Haltung (Sturzflug) bis zum Aufschlag nicht wieder aufgerichtet. Nach Aufschlag sofortige Explosion mit Stichflamme und starker Rauchentwicklung."

Zeuge in 600 m Entfernung zum Unglücksort: "Flugzeug kam aus Richtung Keulenberg (Einflugschneise), Flughöhe etwa 250 m. Fluglage über Ottendorf-O. normal, unmittelbar danach nahm die Maschine einen Neigungswinkel von 40 Grad an. Bis zur Sichtbehinderung behielt sie diese Fluglage bei. Triebwerke sind noch voll gelaufen."

Zeuge im Freien: "Flugzeug flog vom Lomnitz in RIchtung Flugplatz, ca. 200 m Höhe. Normale Fluglage. Verhältnismäßig wenig Geräusche, langsamer Flug. Plötzlich zum Sturzflug angesetzt."

Zeuge ebenfalls im Freien: "Normale Fluglage, Höhe ca. 200 m, geringe Geschwindigkeit. Bei normalen Fluglage Neigungswinkel von 5 Grad, dann 60 Grad. Triebwerke müßten noch in Betrieb gewesen sein."

Zeuge aus VEB Sachsenwerk: "In Normalfluglage aus Richtung Königsbrück kommend in ca. 250 m Höhe die 152 vom Standort Werk aus gesehen. Die Maschine neigte sich, als wenn sie zur Landung ansetzen wollte, kippte kurz danach vorn über und es gab eine Explosion und einen rauchpilz wie bei einer Atombombe."

Zeuge auf der Radeberger Straße: " Sah die Maschine in 400 m Höhen kommend gegen 13.50 Uhr leicht nach vorn geneigt, als wenn sie zur Landung ansetzte. Es kam ihm so vor, als ob die Maschine nicht ganz intakt gewesen sei, da sie leicht wippte."

Zeuge: "Sah die Maschine mit großer Geschwindigkeit in Richtung Flugplatz fliegen. Plötzlich bemerkte er, daß sich die Maschine nach vorn neigte. Weiter sah er, wie die Maschine dann flach aufsetzte und explodierte."

Zeugin im Garten: "Sie gibt an, daß sie das Flugzeug verhältnismäßig langsam fliegen sah. Als sich das Flugzeug über ihr befand, hatte es noch eine ziemliche Höhe. Auf einmal verlor es aber schnell an Höhe und ging immer niedriger. Zuletzt sah sie das Flugzeug steil abstürzen."

 

Windkanalmessung der 152/I im Niedergeschwindigkeitskanal in Klotzsche:

Kanalmessungen vom 27. September 1958  (Dr. Strauss, K. Palitzsch, A. Müller)
3- und 6-Komponentenmessung mit 152-Modell im Maßstab 1:9
NK Düse=10 qm, v= 60 m/s, Modelldrehpunkt 0,313 lmy, lmy=0,605 m, F=1,704 qm

Längsstabilität Modell 152/II:

Die Längsstabilität ist bei einer Klappenstellung von 31,5 Grad (Max.) über den gesamten ca-Bereich konstant (indifferenzpunkt in 0,367 lmy). Bei den übrigen Klappenstellungen trat mit wchsendem ca eine Stabilitätsabminderung auf. Für die Klappen bei Null, 10 und 20 Grad liegt der Indifferenzpunkt bei ca=0 in 0,373 lmy). Die vorderste Indifferenzpunktlage für Null Grad Klappenausschlag wurde bei etwa ca=0,5 in 0,33 lmy ermittelt. Für 10 Grad und 20 Grad ergab sich die vorderste in 0,33 lmy bei ca=0,95 bzw 1. Der Stabilitätsanteil des HLW ist ebenfalls von ca abhängig. Für Null Grad Klappe hat die stabilisierte Strecke bei ca= 0 bis 0,5 den Wert 0,193 lmy bzw. 0,15 lmy.

Strömung am Flügel:

Mit wachsendem Anstellwinkel vergrößert die Flügelpfeilung sehr stark die nach außen gerichtete Komponente der Flügelumströmung. Diese führt bei einem Anstellwinkel von etwa 8 Grad bis 9 Grad im äußeren Querruderbereich sowie der Flügelhinterkante nahe den äußeren Grenzschichzäunen zum Beginn des Abreißens. Ein Vergleich mit den Diagrammen zeigt auch in diesem Anstellwinkel-Bereich eine verkleinerung des gemessenen caStrich.
Am Gesamtmodell 152/I traten bereits bei einem Anstellwinkel von 6 Grad an der Flügelnase in unmittelbarer Nähe des Übergangs vom Triebwerksstiel in den Grenzschichtzaun örtlich Abreißerscheinungen auf. Dahinter legte sich die Strömung wieder an

Strömung am Höhenleitwerk:

Da bei den Versuchsflügen mit dem Höhenleitwerk 152/V2 auf IL-14 bei Ruderausschlägen oberhalb 15 Grad in Richtung Ziehen unzulässig starke Schüttelerscheinungen (vermutlich infolge Abreißens der Strömung) auftraten, wurden Strömungsbeobachtungen auch am HLW mit gezogenem Ruder (-15 Grad und -25 Grad) bei veränderlichem Anstellwinkel vorgenommen.
Hierbei war zu erkennen, daß bei -25 Grad die Strömung an der Unterseite des Ruders vollständig abgerissen war. Damit scheint sich obige Vermutung zu bestätigen. Die Abreißerscheinungen sind durch das Heraustreten der an der Unterseite völligeren, kreisbogenförmigen Rudernase aus der Profilkontur begingt.


Der komplette Hergang der 152-Katastrophe vom 4. März 1959 ist in allen Details dokumentiert im Buch Holger Lorenz: "Die Absturzursachen des DDR-Jets Baade-152"