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Das Triebwerk-Entwicklungswerk Pirna (Werk 802)

In Pirna auf dem Sonnenstein stand sozusagen die Wiege der gesamten DDR-Luftfahrtindustrie. Am 5. Juli 1954 trafen unter der Leitung Brunolf Baades die letzten rund 200 Junkers-Spezialisten in Pirna ein. Einige wenige wie Triebwerkschef Ferdinand Brandner oder Prof. Günther Bock reisten nach Österreich bzw. Westberlin weiter. Der überwiegende Teil jedoch wollte wieder Flugzeuge bauen und blieb deshalb in der DDR. In den Gebäuden der HV-18 auf dem Sonnenstein begannen sofort die Arbeiten für die Projektierung der zukünftigen Betriebe als auch die Konstruktionsarbeiten am Flugzeug "152" und dem Triebwerk "014".

Von 1954 bis zur Fertigstellung der neuen Betriebe Mitte 1957 blieb Pirna das geistige Zentrum. Erst ab da wechselten die Führungsleute in ihre neuen Arbeitsstätten nach Dresden. Im Sommer 1955 begannen die Aufbauarbeiten für das Triebwerksentwicklungswerk auf dem Sonnenstein. Es entstand ein neues großes Konstruktions-und Verwaltungsgebäude, das dem in Dresden nahezu baugleich war. Es entstanden zwei große Montage- und Fertigungshallen, mehrere Motorenprüfstände mit ihren charakteristischen Türmen, große unterirdische Tanks für die Prüfläufe, weitere Teile-Hallen und soziale Einrichtungen, dazu Wohnungen für die Beschäftigten. 

Im Werk 802 arbeiteten über 2.000 Arbeiter und Ingenieure, die mit sehr flach gehaltenen Leitungsstrukturen schnell Ergebnisse erbrachten. Bereits am 12. Oktober 1956 lief auf dem Prüfstand 2 das erste Pirna-014, das Versuchstriebwerk 014 V-01, rund 2,5 Stunden, wobei es auf eine Drehzahl von 6.200 u/min beschleunigt wurde. Die Vollastdrehzahl von 7.000 u/min konnte wegen der Verwendung von nichtwarmfesten Werkstoffen noch nicht gefahren werden.

In der Projektierung wurde indes schon an neuen modernen Triebwerken gearbeitet. Das Pirna-015 war bereits ein ZTL von 4.500 kp Schub und sollte das Pirna-014 im Flugzeug 152 baldigst ersetzen, um zu größeren Reichweiten zu kommen (2.500 km statt nur 2.000 km). In Arbeit war auch das ETL Pirna-016 als weiteres Ablösemuster für das 014. Es hatte einen neu gerechneten Verdichter, der einen Verdichtungsgrad von 11,86 erreichte und damit an der Spitze aller damaligen ETLs gelegen hätte. Und 1957 ging für das Baade-Turbinenauto das Pirna-017 mit 130 PS auf den Prüfstand, aus dem später ein Hilfsaggregat für die Feuerwehrspritzen gemacht wurde.

 

Für das universelle Kurzstartflugzeug "153" enstand 1956/57 das PTL Pirna-018 mit erst 6.000 PS und später 5.000 PS (verkleinertes Getriebe). Die Verdichtung lag bei 10. Alle Pirnaer Triebwerke zeichneten sich wegen hoher Verdichtungsverhältnisse durch einen sehr geringen Kraftstoffverbrauch aus. Wegen ihrer rein zivilen Anwendung und der geplanten langen Lebensdauer lagen die Gewichte etwas höher als üblich, was aber nur bei ausgesprochenen Kurzstreckenflugzeugen nachteilig ist. Mit dem hochmodernen ZTL Pirna-020 konnte dann ab 1960 das Weltniveau erreicht werden. Dieses 3.700-kp-Triebwerk war sowohl für die 152, die kleine 155 (zwei Triebwerke) und die vierstrahlige 154 (900 bis 950 km(h Reisegeschwindigkeit) vorgesehen.

 

Lageplan der Entwicklungswerkes für Triebwerke in Pirna auf dem Sonnenstein an der Elbe.

 

Da die Triebwerksentwicklung fast doppelt so viel Zeit benötigt wie die Zellenentwicklung, stand der Bau des Werkes 802 in Pirna ganz oben an. Bis Anfang 1957 war in Pirna auf dem Sonnenstein auch die gesamte erste Leitungsebene des neuen Industriezweiges untergebracht. Durch die kurzen Wege waren schenlle Entscheidungen möglich. Das betraf sowohl die Triebwerks-, als auch die Flugzeugentwicklung sowie die Abstimmung zwischen Triebwerk und Zelle. Deswegen kam es auch kurzfristig zur Entwicklung des ZTL Pirna-01, die aber kurze Zeit später wieder abgebrochen wurde.

Das Werk 802 (Leiter: Prof. Rudolf Scheinost, Direktor: Manfred Gerlach) war effektiv organisiert und brauchte sich nur um seine Triebwerksentwicklung kümmern. Der Serienbau lief bis 1957 in Karl-Marx-Stadt unter eigener Regie. Schlechter sah es jedoch bei der Vorlaufforschung, der Erarbeitung mathematischer Grundlagen und der Nutzung von elektronischen Rechnern aus. Trotz dieser Probleme konnte 1958/59 ein neues Rechenverfahren für die Verdichterauslegung geschaffen werden, mit dem es gelang, moderne Verdichter wie die des 016 und 020 zu entwickeln. 

 

Ansicht des Entwicklungswerkes für Triebwerke in Pirna auf dem Sonnenstein.