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Der "Zauberer" Dr. Heinrich Koppenberg im Nachkriegs-Interview

Im Nachlaß von Ernst Zindel, Chefkonstrukteur der Junkers AG, fand sich folgendes Interview, das General der Flieger, Paul Deichmann, wegen eines geplanten "Erinnerungsbuches" mit dem ehemaligen Junkers-Genaraldirektor Heinrich Koppenberg im Oktober 1957 geführt hatte. Offensichtlich hat General Deichmann das Manuskript danach an Ernst Zindel geschickt, um es von ihm aus technischer Sicht noch einmal gegenlesen zu lassen.

Heinrich Koppenberg (15. März 1880 bis 6. September 1960) galt ab 1934 als "Zauberer", weil er es geschafft hatte, das neue riesige Junkerswerk in nur 10 Monaten hinter das Altwerk zu klotzen. Seine grobe Art kam auf dem Bau gut an, in der Konstruktionsabteilung dagegen zerschlug er reichlich Porzellan. Doch für die herrschende Nazi-Kaste war der grobschlächtige Koppenberg genau der richtige Mann. Um allerdings einen Überblick über die Geschichte der Junkers AG von 1933 bis 1945 zu geben, ist Koppenberg nur bedingt geeignet. Er war in die Ereignisse zu sehr verstrickt, als daß er glaubhaft wäre.

Die Antworten von Koppenberg stimmen nicht immer mit der Wirklichkeit überein. Teils sind verschiedene Zeitangaben falsch, teils die Angaben zu den Beteiligten. Das ist aber bei Erinnerungen normal. Was hingegen fast immer falsch ist bei Koppenberg, das sind seine technischen Einschätzungen. Koppenberg begriff nicht, daß eine zivile Flugzeugproduktion in den 1920er Jahren überwiegend Einzelanfertigung war, daß die technische Entwicklung schneller verlief, als die geringen Stückzahlen es lohnten. Außerdem hat Koppenberg bis zuletzt keine Vorstellung davon bekommen, wer bei Junkers die Leute sind, die die Entwicklung, die Konstruktion und die technologische Vorbereitung machen. Ihm blieb völlig verborgen, wie beim größten Flugzeugkonzern der Welt die 5.000 beschäftigten Ingenieure zielgerichtet ihre Arbeit verrichten konnten. Das ging nämlich nicht durch "straffe" Leitung, wie das Koppenberg von seiner Stahlerzeugung her gewöhnt war, sondern durch genaue Personalauswahl und schnelle Rückkopplung zwischen den Entwicklern, Konstrukteuren und Fertigungsleuten.

Paul Deichmann wiederum arbeitete nach dem Krieg für die Amerikaner. Sein Bedürfnis, die Gründe für die Niederlage der Luftwaffe aufzuarbeiten, mag persönlicher Natur gewesen sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß auch die Amerikaner Interesse daran hatten und daß sie dafür auch gut bezahlten. Paul Deichmann wurde am 27. August 1898 geboren, war Fähnrich im 1. Weltkrieg, war danach bei der Reichswehr und ab 1934 bei der Luftwaffe, zunächst wohl nur in Hinterzimmern bei Planspielen, ab 1942 dann auch als Kommandeur an der Front. Zu Hitlers letztem Geburtstag wurde er zum General der Flieger ernannt.

 

Am 17. November 1956 hält Heinrich Koppenberg im Frankfurter Ratskeller eine Rede zur Sammlung der Junkersleute für einen Wiederaufbau.

 

Auffällig ist im Interview, daß Koppenberg immer wieder das RLM beschuldigt, falsch entschieden zu haben. Er selbst nimmt sich sehr zurück, wirkt regelrecht bescheiden, ist nur "Diener seines Herrn". Seit dem 24. November 1933 aber lenkte Koppenberg alleinverantwortlich die Geschicke des Junkers-Konzerns. Er wußte ganz genau, daß er das Junkerswerk für einen neuen Weltkrieg in kürzester Zeit fit zu machen hatte. Er wußte, daß Geld dabei keine Rolle spielte, daß nur der Zeitpunkt zählte, wann die neue Luftwaffe schlagbereit wird. Der Termin hieß März 1938.

Noch ein Wort zu zwei eklatanten Fehleinschätzungen Koppenbergs. Auf Seite 5 nimmt er Stellung zum Deutschamerikaner Alfred Gassner, den er aus den USA geholt hatte und in die Ju-88-Konstruktion steckte. Gassner war zu keiner Zeit der Mann, der die Ju 88 entwickelt hatte. Als Gassner Weihnachten 1935 kam, war der leichte Schnellbomber Ju 88 fertig projektiert. Gassner bekam von Zindel die Typenleitung übertragen. Er mußte also vor allem die Termine der Maschine koordinieren. Das war im Prinzip alles. Weihnachten 1936 war er schon wieder weg. Und erst 1937 wurde die richtige Ju 88, also die schwerere, sturzflugfähige und mit Abwehrbewaffnung versehene Ju 88 konstruiert, doch die hatte mit dem Schnellbomber nicht mehr viel gemein. Die im Krieg eingesetzte Ju 88 war ein großer Wurf und bis 1941 sehr effektiv. Die in ihrer Entwicklung erfolgten tausenden Änderungen kamen daher, daß ein Flugzeug immer weiterentwickelt werden muß und daß sie so vielfältig einsetzbar war, daß sie für die vielen Zwecke konstruktiv auch angepaßt werden mußte, was natürlich mit Änderungen verbunden ist. Ab 1942 sollte ja die viel leistungsfähigere Ju 288 zum Einsatz kommen, doch die wurde ja von ganz oben abgewürgt, weil es viel einfacher war, die laufende Ju-88-Produktion zu erhöhen als auf einen neuen Typ umzustellen.

Der zweite Fehler unterläuft Koppenberg bei der Ju 89/90. Als Koppenberg zu Junkers kam (Nov. 1933) gab es noch gar keine Ju 89. Da gab es noch nicht mal die Ju 86 oder 87. Daß der viermotorige Großbomber vom RLM ziemlich schnell ad acta gelegt wurde (Erstflug am 11. April 1937), lag an der Schwäche der deutschen Wirtschaft und dem Zeitdruck. Für eine Ju 89 konnte man zwei kleine und schnellere Ju 88 bauen. Das war die Blitzkriegsstrategie, mit der sich allerdings England und andere überseeische Gebiete nicht erobern ließen.

 

Koppenberg-Bericht über den Aufbau der Junkerswerke 1934 in nur 10 Monaten

Deichmann-Interview Seiten 1 bis 4

Deichmann-Interview Seiten 5 bis 8

Deichmann-Interview Seiten 9 bis 12

Deichmann-Interview Seiten 13 bis 16