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Die Flugmotorenwerke Ostmark FMO in Wiener-Neudorf

1.000 Flugmotoren Jumo 222 pro Monat!
Vom Flugmotor Jumo 222 versprach sich die deutsche Führung nach den Demütigungen in der Luftschlacht um England wahre Wunder. Der 24-Zylinder-Reihen-Stern-Motor, den der große Prof. Otto Mader als den ersten wirklich "zellengerechten" Motor bezeichnet hattee, war von dem Österreicher Ferdinand Brandner im Frühjahr 1937 entworfen worden. Am 24. April 1939 lief der erste Vollmotor auf dem Prüfstand, und genau zwei Jahre später, nämlich im April 1941, gelang der erste 100-Stunden-Lauf, wodurch die Konstruktionsreife nachgewiesen wurde.
Ferdinand Brandner war nicht nur ein genialer Motorenkonstrukteur, sondern auch politisch sehr aktiv. In der österreichischen NSDAP gehörte er der Führung an. Er war maßgeblich an der Weichenstellung zum Anschluß Österreiches an Deutschland 1938 beteiligt. In seiner Rolle als Politiker und Patriot für "Großdeutschland" forderte er von den Nazi-Führern und Wirtschaftskapitänen, daß die Serienproduktion des neuen Motors in seiner Heimat Österreich erfolgen sollte. 

Er traf sich dazu mit dem Gauleiter der Ostmark, Baldur von Schirach, um ihm den Plan für ein riesiges Motorenwerk hinter Wien schmackhaft zu machen. Dieses Treffen im November 1940 kann als die Initialzündung für den Aufbau des "Flugmotorenwerkes Ostmark" (FMO) betrachtet werden.
Die Bauplanungen für das Flugmotorenwerk Ostmark in Wiener Neudorf führte Dr.-Ing. Wilhelm Eckenberg aus. Das Werk wurde so dimensioniert, daß monatlich 1.000 Motoren Jumo 222 ausgestoßen werden konnten. Dazu wurden 6 Hallen von je 21.000 qm Fläche, 12 Motorenprüfstände, ein Verwaltungsgebäude, eine Zentralküche, 15 Speisesäle, Unterkünfte und ein eigenes Heizkraftwerk auf Kohlenstaubbasis projektiert. Insgesamt sollten hier 50.000 Beschäftigte im Schichtsystem arbeiten. Neben dem Motorenwerk entstand in Brünn eine Gerätewerk (Einspritzpumpen etc.) und ein Luftschraubenwerk in Marburg (Slowenien). Die Aufbauleitung hatten die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG, die sich im Staatsbesitz des Deutschen Reiches (Bank der deutschen Luftfahrt BdDtL) befanden.

Wiener Neudorf südlich der Hauptstadt Wien vor der Eingemeindung

Spatenstich und Richtfest 1941

Am 2. April 1941 wurden die Flugmotorenwerke Ostmark mit Sitz in Wien gegründet. Das Grundkapital betrug 1 Mio. RM (90 % durch BdDtL und 10 % durch Junkers gezeichnet). Am 25. Juli 1941 war erster Spatenstich. Und bereits am 28. Oktober 1941 konnte Richtfest mit den 11.500 Bauarbeitern und den angereisten Nazi-Größen (Albert Speer, Ernst Udet, Erhard Milch ... ) gefeiert werden. Doch die Freude währte nur kurz. Die Rote Armee brachte im November 1941 die deutschen Vorstöße vor Moskau endgültig zum Stehen. Die Verluste an der Ostfront waren schon im Spätsommer 1941 höher als an allen anderen Fronten zusammen. Das brachte die präzisen Planungen des Generalstabes so durcheinander, daß nach schnelleren Lösungen gesucht wurde. Eine dieser Schnellösungen hieß doppelte Leistung durch Doppelmotor. Doppelmotoren hatte aber nur Daimler-Benz in Produktion (DB-606 und DB-610 für Heinkel He 177). 

Erhard Milch verlangte nun auch von Junkers einen Doppelmotor auf Basis des Jumo 211. Junkers-Motorenchef Otto Mader aber widersprach mit der Begründung, daß ein Doppelmotor erstens nicht wirklich eine Lösung sei, weil er zu groß, zu schwer und vor allem zu störanfällig würde, und zweitens, wenn der Doppelmotor doch gebaut werden sollte, er dann trotzdem mindestens 1,5 Jahre bis zur Serienreife brauchte. Milch, der nach Ernst Udets Freitod dessen Stelle im RLM eingenommen hatte, vergab daraufhin alle Entscheidungsbefugnisse für das Flugmotorenwerk Ostmark an Daimler-Benz mit der Auflage, den Bau des Werkes zu vollenden und sofort mit der Serienproduktion des DB-610 in Wiener Neudorf zu beginnen. Diese Entscheidung eines reinen Verwaltungsmenschen gegen die Vernunft eines weitblickenden Technikers wie Otto Mader führte innerhalb weniger Wochen ins absolute Aufbau-Chaos in Wiener-Neudorf.

Nazi-Prominenz zum Richtfest am 28. Oktober 1941 mit Albert Speer und Ernst Udet

Daimler-Benz übernimmt die FMO

Am 24. Dezember 1941 setzte Generalluftzeugmeister Erhard Milch den Motor Jumo 222 von der RLM-Liste ab mit der Begründung, der Motor sei noch nicht serienreif (Es gab aber keinen anderen Motor dieser Leistungsklasse, der serienreif gewesen wäre), um Daimler-Benz, die übrigens ob ihres Doppelmotors auch nicht glücklich waren (Die He 177 war wegen ihrer brennfreudigen Motoren als "Reichsfeuerzeug" verschrien) die Generalvollmacht zum weiteren Ausbau des Flugmotorenwerkes Ostmark zu erteilen. Doch Daimler-Benz war damit maßlos überfordert. Junkers hatte genügend Fachleute auf dem Bausektor und der Planung der technischen Ausrüstung neuer Werke. Junkers zog sich vollständig zurück und das Baugeschehen erlahmte zusehends. Um den Maschinenpark zu beschaffen, hatte Junkers sicherlich auch Umsetzungen innerhalb seines Konzerns eingeplant und feste Verträge mit dem sächsischen Maschinenbau ausgehandelt mit konkreten Anforderungen an die Maschinen. Daimler-Benz mußte nun alles aus dem Stand neu projektieren und organisieren, ohne dazu wirklich in der Lage zu sein. So schleppte sich der Bau des Werkes bis Anfang 1943 hin. Bis dahin verließ kein einziger Motor DB-610 das Werk. Von 1.000 Motoren pro Monat träumten nur noch Hitler und Milch.

Im Mai 1943 kam Reichsmarschall Hermann Göring persönlich nach Wiener Neudorf, um sich ein Bild von der Misere zu machen. Göring setzte Georg Meindl als neuen Aufbau-Chef ein. Bis zu diesem Zeitpunkt waren ganze drei DB-Motoren in Wiener-Neudorf gebaut worden, und das bei mittlerweile 15.000 Beschäftigten, bei 4.000 installierten Werkzeugmaschinen und von Daimler-Benz aus Stuttgart angelieferten Halbzeugen und Einbauteilen für die Motoren!

Meindl forderte nun schonungslos KZ-Häftlinge an und von den verantwortlichen Stellen der SS ein KZ-Außenlager in unmittelbarer Werksnähe. Am 2. August 1943 trafen die ersten 201 KZ-Häftlinge ein. An dieser perfiden Strategie, inhaftierte Regimegegner und gefangene Ausländer für die Ankurbelung der eigenen Rüstungsproduktion bis zum Tode abarbeiten zu lassen, wird das eigentliche Wesen des Faschismus deutlich: Ausbeutung des rechtlosen Arbeiters bis zum Tode als Grundrecht des Kapitals. Wer sich dem Profitstreben des Kapitals nicht fügt, wird vernichtet.

Trotz aller Brutalität gelang es Daimler-Benz nicht mehr, das Flugmotorenwerk Ostmark zum Laufen zu bringen. Mehr als 50 Motoren pro Monat verließen nie die Produktionsbänder. Außer für die He 177 wurde der Motor DB-610 auch nicht mehr gebraucht. Dieses Ungetüm hatte auch den so vielversprechenden Bomber Ju 288 zugrunde gerichtet. Außer ein paar wenigen V-Maschinen sind keine Ju 288 mehr gebaut worden (Flugzeug wurde immer langsamer und schwerer). Als dann am 8. Juli 1944 alliierte Bomberverbände erstmals Wiener-Neudorf angriffen, war das Schicksal der Flugmotorenwerke Ostmark endgültig besiegelt. Im April 1945 besetzten sowjetische Truppen das Werk. Maschinen und Anlagen wurden abgebaut und in die Sowjetunion geschafft, die restlichen Gebäude 1950 bis 1952 gesprengt. (Dank an Josef Stoik und die Zeitschrift "Unser Neudorf")

Lageplann der Flugmotorenwerke Ostmark in Wiener-Neudorf