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Koppenberg-Bericht vom Januar 1935 über das Junkers-Neuwerk

Generaldirektor Heinrich Koppenberg (rechts im Bild) am 17. September 1940 im Otto-Mader-Werk anläßlich des 60. Geburtstages von Otto-Mader im Gespräch mit Chefkonstrukteur Ernst Zindel (Mitte) und Abteilungsleiter Dr. Friedrich Bielitz (Motorenwerk / Schwingungen) beim "Entwickeln großer Ideen". Koppenberg kam als Manager zu Junkers. Diese Sorte Mensch war damals entstanden mit den Großkonzernen und Aktiengesellschaften, womit sich die eigentlichen Besitzer vollkommen von der "Arbeit" zurückgezogen hatten und nur noch vom Couponschneiden lebten. Bei Junkers war dies insofern modifiziert, weil der Großkonzern seit 1933 ein Staatsunternehmen war. Der faschistische Staat hoffte dadurch "billig" seine Rüstungsgüter beziehen zu können, weil er selbst die Preise festlegen wollte. Doch das erwies sich schnell als ein Hirngespinst.

Der folgende Bericht vom neuen Junkers-Manager Heinrich Koppenberg fand sich im Nachlaß von Ernst Zindel, dem langjährigen Chefkonstrukteur der Junkerswerke. Er gibt (wegen der damaligen Geheimhaltung) einen etwas verschleierten Einblick in die Ziele der neuen Machthaber, mehr noch aber einen Einblick in die Koppenberg'sche Denkweise und die Willfährigkeit der damaligen Wirtschaftslenker. Dieser Kurs zielte eindeutig auf Krieg (das war allen Beteiligten klar), nicht auf einen Anschub der Zivilproduktion. Denn dafür waren die Hallenbauten viel zu groß dimensioniert.   Holger Lorenz

Junkers-Aufsichtsratsvorsitzender

Dr. Heinrich Koppenberg (Januar 1935):

Die Entwicklung von "Dessau" im Jahre 1934

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
Seite 1:     Neue Aufgaben
Seite 2:     Der alte Zustand der Junkerswerke
Seite 4:     Neuorganisation
Seite 7:     Die Dessauer Bauten
Seite11:    Die auswärtigen Projekte
Seite 13:   Grundsätzliches zu den Bauten
Seite 15:   Forschung und Entwicklung
Seite 18:   Die Schöpfungen der IFA
Seite 21:   Die Konstruktionen der Jumo
Seite 24:   Fertigung der Flugzeugzellen
Seite 28:   Ausbildungswesen
Seite 31:   Die Betriebsführung der Jumo
Seite 33:   Die Überwachung der Betriebe
Seite 35:   Der Einkauf
Seite 39:   Der Vertrieb
Seite 41:   Wachstum und Leistungsfähigkeit der Junkerswerke
Seite 44:   Betriebsführung und Gefolgschaft

Vorwort

Für den 20. Oktober 1933 hatte der Reichsminister für Luftfahrt, Hermann Göring, die führenden Persönlichkeiten der einschlägigen deutschen Industrie zu einer Sitzung nach Berlin einberufen. Dieses Ereignis war für die deutsche Luftfahrt von großer, je von entscheidender Bedeutung. Außer den hohen Beamten des Ministeriums sah man nicht nur die Führer der Flugzeugwerke und des Motorenbaus, sondern auch die leitenden Herren der Industrie, die leichte und schwere Rohstoffe erzeugt und verarbeitet.

Die Versammlung, deren Bedeutung sich jeder Teilnehmer bewußt war, wurde von Staatssekretär Milch selbst geleitet. Dieser appellierte an die Verläßlichkeit, die Treue, den Eifer und die vaterländischen Pflichten der anwesenden Herren und wies nach, daß für Deutschland nunmehr der große Augenblick gekommen sei, in dem es gelte, den Aufbau der Luftflotte vorzunehmen.

Der Höhepunkt der Sitzung war gegeben, als der preußische Ministerpräsident und Luftfahrt-Minister Hermann Göring erschien, von der Versammlung mit erhobener Hand in feierlichem Schweigen begrüßt.

 

 

In seiner Ansprache führte dieser aus, er habe vom Führer den Auftrag erhalten, "binnen einem Jahr" die Wende in der Stellung Deutschlands auf dem Gebiet der Luftfahrt herbeizuführen. Arbeitspflicht, Schweigepflicht und die Zusage auf bessere Zeiten gegenüber der Vernachlässigung in der Vergangenheit - das waren die nachhaltigen Worte des Ministers.

Alsdann folgten die sachlichen Bekanntgaben über die Eingliederungen der einzelnen Firmen in den Gesamtrahmen des Planes.

Ich hatte den Vorzug, diesem wichtigen Ereignis beizuwohnen und an meinem Teil zur Erreichung des gesteckten Zieles mitarbeiten zu dürfen. Mit Freuden habe ich mein ganzes Wissen und Können in den Dienst der Sache gestellt. Einen Bericht darüber soll das vorliegende Heft geben, das in erster Linie für meinen Auftraggeber bestimmt ist, der beim weiteren Ablauf der Dinge meine Aufgaben noch erheblich erweiterte.

gez. Koppenberg
Dessau, im Januar 1935.

Koppenberg-Bericht Seiten 1 bis 4

Koppenberg-Bericht Seiten 5 bis 8

Koppenberg-Bericht Seiten 9 bis 12

Koppenberg-Bericht Seiten 13 bis 16

Koppenberg-Bericht Seiten 17 bis 20

Koppenberg-Bericht Seiten 21 bis 24

Koppenberg-Bericht Seiten 25 bis 28

Koppenberg-Bericht Seiten 29 bis 32

Koppenberg-Bericht Seiten 33 bis 36

Koppenberg-Bericht Seiten 37 bis 40

Koppenberg-Bericht Seiten 41 bis 44

Koppenberg-Bericht Seiten 45 bis 48

Koppenberg-Bericht Seite 49

Einschätzung des Berichts aus heutiger Sicht (Sept. 2008)

Der ersten Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932 ging eine Überakkumulation von Kapital (Produktionsmittel) und eine massenhafte Spekulation an den Börsen auf der einen Seite voraus. Auf der anderen Seite war die Massenkaufkraft nicht lohnmäßig, sondern durch zusätzliche Arbeitsplätze in der produktionsmittelherstellenden Industrie leicht gewachsen. Eine staatliche Lenkung und Leitung der Produktion gab es nicht, so daß es auch keine Absicherung gegen eine mögliche Krise gab. Als die Krise an den amerikanischen Finanzmärkten ausbrach, erfaßte sie auch ganz schnell Südamerika und Europa. Die Industrieproduktion brach in Deutschland um 50 Prozent ein. Das ausbrechende Chaos führte in den USA zum "New Deal" mit staatlichen Investitionsprogrammen und höheren Löhnen, in Deutschland dagegen zum Marsch des Bürgertums in den Faschismus, weil zur Weltwirtschaftskrise auch noch die Knebelung Deutschlands durch den Versailler Vertrag hinzukam, wodurch die Krise noch unerträglicher geworden war (besonders für die Arbeiterschaft und die kleinen Händler). Vielen deutschen Wirtschaftslenkern war klar, daß nur eine planmäßige Produktionskonstrolle eine neuerliche Krise verhindern konnte.

Fünfjahrpläne und die diktatorische Unterbindung des Klassenkampfes sollten in Deutschland Besserung der krisenanfälligen kapitalorientierten Produktionsweise bringen. Zum andern war nationalistisches Denken im Bürgertum weit verbreitet. Jede Nation mußte sich gegen die andere behaupten, notfalls auch militärisch. Hieraus zimmerte Hitler sein abenteuerliches Programm: Mit Gewalt an die Fleischtöpfe der Welt.

Heinrich Koppenberg liefert in seinem Bericht seine eigene Sicht auf die Dinge. Zum einen war er fasziniert von der amerikanischen Fließband-Produktion, die den Produktionsprozeß in immer einfachere Teilarbeiten zergliederte, um so eine enorme Steigerung der Ausstoßmenge zu erreichen. Andererseits sah auch er die Möglichkeit, mit militärischer Stärke, Deutschland aus seiner abhängigen Lage von Frankreich, England und den USA befreien zu können. Und Göring wie Milch appellierten an die "Treue und Vaterlandspflicht" der Kapitalbesitzer, Deutschland wieder einen angemessenen Platz in der Weltgemeinschaft zu verschaffen.

Claus Junkers hatte das sogenannte "ABC-Programm" erdacht. Doch er dachte noch immer zu kleinlich. Koppenberg dagegen dachte in ganz anderen Dimensionen, denn er wußte als Direktor eines Flick-Stahlwerkes, daß es ab sofort ums Ganze, nämlich die Eroberung der Welt, ging. Die Größe der neuen Junkerswerke stellte nicht nur alles in der Welt existierende in den Schatten, es war auch für eine zivile Flugzeugproduktion ungeeignet, weil kein Markt der Welt eine solche Ausstoßmenge aufnehmen konnte. 

Doch zunächst verschaffte die maßlose Aufrüstung (inflationsfinanziert) nicht nur der Bauindustrie, sondern auch dem Maschinen- und Anlagenbau sowie unzähligen Zulieferern ein gewaltiges Wachstum, also Umsätze, Profite und auch mehr Löhne. Das Eigenartige dieser Wirtschaftsankurbelung ist, daß man Rüstungsgüter nicht essen kann. Nach spätestens fünf, sechs Kapitalumläufen kommt die Reproduktion ins Stocken, weil dem Staat das Geld ausgeht. Kurz, ein schneller Krieg wird naturnotwendig. Alle Beteiligte haben das gewußt, deshalb wurde ja so ein Tempo angeschlagen. In nur 10 Monaten ließ Koppenberg das neue Junkerswerk hochziehen. Weitere Werke wurden eingegliedert. Hitler hatte als Termin für die Angriffsfähigkeit der Armee den 1. März 1938 ausgegeben.

Wie "gewirtschaftet" wurde, wird auf Seite 41 deutlich: "Der Umsatz der IFA ist nicht exakt anzugeben, da auch heute noch nicht die Preise für die ABC-Maschinen festliegen", schreibt Heinrich Koppenberg. Während bei Hugo Junkers pro Woche eine Ju 52 fertig wurde, muß Koppenberg 2.000 Flugzeuge Ju 52 und W33 bis 1935 liefern. Geld spielt überhaupt keine Rolle mehr. Der kriminelle deutsche Staat druckt Geld, wie es ihm beliebt, und alle Mittäter werden so selbst kriminell.

Trotz der "Eigensicht" Koppenbergs offenbart dieser Bericht viele Details der Entwicklung in den Jahren 1933 und 1934. Da Heinrich Koppenberg ein "zupackender" Mensch war, der etwas bewegen konnte und dabei auch den Überblick behielt, zeichnet der Bericht neben einem gesamtgesellschaftlichen Bild der deutschen Wirtschaft auch eine Sicht auf das Junkerswerk von außen und innen. Man erfährt etwas über die Lebensbedingungen und die Löhne der Arbeiter, über die vom Staat gestellten Produktionsforderungen, über die Schwierigkeiten der Rohstoff- und Zulieferindustrie, besonders den Dural-Mangel und sogar etwas über einzelne Personen (Thiedemann, Kratz, Metze, Zindel, Prof. Mader, Mühlen, Dr. Gasterstädt und andere). Kurz, es ist ein lesenswertes Zeitdokument, das der interessierten Öffentlichkeit nunmehr zugänglich gemacht werden kann.  (H.L.)

(In meinem Buch "Kennzeichen Junkers", Ingenieure zwischen Faust-Anspruch und Gretchen-Frage, sind die politischen und wirtschaftlichen Hintergründe zum Ausbau der Junkerswerke zum größten Flugzeugwerk der Welt mehrdimensional beleuchtet und die pesönliche Sicht Heinrich Koppenbergs und sein eigener Werdegang in den Gesamtverlauf eingebettet. Zeitgenössische Fotos unterstreichen das Geschilderte. Der Bericht selbst ist aus Platzgründen nicht im Buch eingearbeitet.)

 

Heinrich Koppenberg (2.v.l.) und seine "rechte Hand" Andreas Fischer von Poturzyn (links) vor einer Ju 52 Mitte 1937. Das enteignete Junkerswerk stand seit 1933 unter Reichsverwaltung, und Koppenberg war der Reichskommissar, der den Junkerskonzern treuhänderisch verwalten sollte. Fischer von Portuzyn leitete das "Büro Koppenberg". Koppenberg bekam bei Kriegsbeginn auch noch die Leitung der Aluminiumproduktion ob seines Organisationstalentes und seiner Durchsetzungskraft zugewiesen. Koppenberg trat übrigens erst am 1. April 1936 in die NSDAP ein.